Während unserer Zusammenarbeit mit Analytics10, einem Beratungsunternehmen für Analytics und Big Data mit Sitz in Chile und Mexiko und einem großen südamerikanischem Telekommunikationsunternehmen, wurde Julia Lehmann, Co-Founder von OnFore, zur zunehmenden Relevanz von Chatbots interviewed.
Das Originalinterview in spanischer Sprache erschien im April 2022 auf der Webseite von Analytics 10:
Die digitale Transformation ist zu einem Mekka für Unternehmen geworden. Um ihre Abläufe zu verbessern und ihrer Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein, investieren Firmen zunehmend in neue Technologien und Tools.
In diesem Wettlauf, der durch die Corona-Krise zusätzlich verschärft wurde, haben die Unternehmen in der Künstlichen Intelligenz ein maßgebendes Instrument gefunden, um effiziente Lösungen zur Prozessoptimierung zu entwickeln.
Die größte Herausforderung ist dabei die Optimierung der Customer Experience (CX). Um sich von ihren Konkurrenten abzuheben, müssen Unternehmen ihren Kunden einen individuellen Mehrwert bieten.
Dieser Bedarf hat zur Entwicklung von Chatbots geführt. Einem Programm, welches in der Lage ist, Konversationen mit Menschen in gesprochener oder geschriebener Form zu führen. Seit neuestem funktioniert dies auch über Gesten und Zeichen. Obwohl es diese Art von Lösung bereits seit den 1960er Jahren gibt, haben sich die Funktionalitäten der Bots radikal verändert. Dementsprechend sind sie zu einem der gefragtesten technologischen Werkzeuge für Unternehmen geworden.
Um die Auswirkungen von Chatbots in der Geschäftswelt und im täglichen Leben der Menschen besser zu verstehen, haben wir mit Julia Lehmann gesprochen, einer Spezialistin für KI, natürliche Sprachverarbeitung und Kundenerfahrung und externe Beraterin bei Analytics 10.
P: Warum sind Chatbots so erfolgreich?
JL: Es gibt viele Gründe für den Chatbot Boom in den vergangenen Jahren. Einer davon ist, dass wir heute in einer Welt leben, in der Messaging Apps die sozialen Medien eingeholt haben. Zudem erwarten die Menschen auf allen Kanälen einen Rund-um-die-Uhr-Service. Die Unternehmen wurden hierdurch stark unter Druck gesetzt, da sie mit der komplexen Herausforderung konfrontiert wurden, Multi-Channel-KI-Lösungen zu entwickeln, und in den meisten Fällen nicht über die technischen Fähigkeiten und das qualifizierte Personal verfügten, um dieser Anforderung gerecht zu werden.
P: Warum sollten Unternehmen in Chatbots investieren?
JL: Ich denke, die Innovationsmöglichkeit ist einer der Hauptgründe. Datenbasierte Lösungen können Unternehmen dabei helfen, Investitionskosten zu senken, Abläufe zu optimieren und gleichzeitig den Kundenservice zu verbessern.
P: Werden Callcenter künftig durch Chatbots ersetzt?
JL: Momentan ergänzen sich die beiden Technologien. Über Call-Center-Dienste oder andere Kanäle können Unternehmen Hunderttausende oder Millionen von Gesprächen aufzeichnen. Aus diesen Gesprächen ergeben sich sehr wertvolle Daten, die es den Unternehmen ermöglichen, ihre Kunden besser kennen zu lernen und ihre Bedürfnisse, Probleme und Wünsche zu verstehen. Chatbots ihrerseits können Kundeninteraktionen bereichern, indem sie sich genau auf diese Informationen stützen.
Aus Sicht der Customer Experience halte ich es auf jeden Fall für wichtig, den zwischenmenschlichen Kontakt mit unzufriedenen Kunden aufrechtzuerhalten. In solchen Situationen empfehle ich, die Konversation an einen menschlichen Kundenbetreuer abzugeben.
P: Glauben Sie, dass Chatbots personalisierte Gespräche führen werden können?
JL: Nun, das ist das große Ziel. Auf Grundlage der Daten müssen virtuelle Assistenten effiziente, individuelle Konversationen führen, die ein besseres Kundenerlebnis bieten. Damit können Kundenprobleme schnell und effektiv gelöst werden.
Kurz gesagt: Je unkomplizierter die Dinge für den Kunden sind, desto loyaler wird er dem Unternehmen gegenüber sein.
P: Allerdings scheinen sich viele Unternehmen noch gegen den Einsatz von Chatbots zu sträuben. Was sind die Hindernisse für die Einführung von Chatbots in Lateinamerika?
JL: Dafür gibt es mehrere Faktoren. Ich denke, die Problematik ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Entwicklung komplexer virtueller Assistenten oder Chatbots eine große Herausforderung darstellt. Die meisten dieser Lösungen sind noch nicht konversationstauglich. Viele Standard-Bots sind nicht in der Lage, eine natürliche und intelligente Konversation zu führen, wenn es um spezifische oder unerwartete Fragen geht.
Während meiner gesamten beruflichen Laufbahn war die Personalisierung der Bots auf der Grundlage von Geschäftswissen und Dialogtraining (Algorithmen) immer eine der größten Herausforderungen.
Das Verstehen von lokalen Redensarten, Dialekten, Jargons usw. ist ein weiterer sehr komplizierter Faktor.
Wenn die technischen Anforderungen komplexer werden, schrecken viele Unternehmen vor einer Umstellung zurück. Das ist ein Fehler, denn solche Entscheidungen beruhen auf kurzsichtigen “Ausreden”, für die es im Übrigen eine Lösung gibt. Infolgedessen vernachlässigen sie den wichtigen Faktor, der das Unternehmenswachstum vorantreibt: das Kundenerlebnis.
P: Woran erkennt man einen gut entwickelten Chatbot?
JL: Der Chatbot muss ein menschenähnliches Erlebnis bieten. Andernfalls wird sich dies negativ auf die Kundenkommunikation auswirken.
Diesem Prozess liegt eine einfache Logik zugrunde: Unternehmen sind darauf angewiesen, dass sich die Menschen auf natürliche Weise äußern, um deren wahren Meinungen, Gefühle und Neigungen kennen lernen zu können. Ein Bot spielt bei dieser Komplexität eine Doppelrolle: Einerseits muss er in der Lage sein, die Konversation zu lenken und die User dazu veranlassen, dass sie sich wohl fühlen und sich frei ausdrücken können. Andererseits muss er die erfassten Daten analysieren und die wirksamsten Maßnahmen zur Lösung des von ihm bearbeiteten Sachverhalts festlegen.
Wenn der Chatbot diese beiden Rollen erfüllt, ist er auf dem richtigen Weg.
P: Auf welche spezifischen Aspekte sollten sich Unternehmen bei der Entwicklung von Lösungen für virtuelle Assistenten konzentrieren?
JL: Ich empfehle Unternehmen, sich auf 4 wesentliche Themen zu fokussieren:
- Datenmangel für das Bot Training aufarbeiten
- Auffassungsvermögen verbessern
- Sprach- und Dialektvariablen verwalten
- Datenverwaltung optimieren.
Dies ist anfangs nicht einfach, jedoch werden Unternehmen mittel- und langfristig bessere Ergebnisse erzielen, indem sie ihr Augenmerk auf diese vier Dimensionen legen.
P: Welche anderen unmittelbaren Vorteile bieten Chatbots neben den Kosteneinsparungen?
JL: Die Kosteneinsparung ist einer der signifikantesten Vorteile, ebenso wie Prozessoptimierung und Umsatzsteigerung. Bots werden zum Beispiel sehr häufig in der Kundenberatung eingesetzt. In einem unserer Projekte gelang es uns, die Anzahl der Kundendienstanrufe in einem Unternehmen um 87 % zu reduzieren.
Wir erzielten durchschnittliche Kosteneinsparungen von 3 bis 6 Euro pro Anruf. Dementsprechend übte der Kundendienst einen positiven Einfluss auf das Sparvermögen aus und das Unternehmen konnte dank unserer Lösung innerhalb von 3 Monaten nach Projektbeginn eine Steigerung seines ROI feststellen.
P: Chatbots in öffentlichen Einrichtungen – was wäre der Nutzen für die Bürger?
JL: Niemand ist von den Auswirkungen des Coronavirus verschont geblieben. Positiv hervorzuheben ist jedoch, dass die Unternehmen große Fortschritte bei der Entwicklung neuer Technologien gemacht haben. Diese Fortschritte sind nicht nur auf den privaten Sektor beschränkt, sondern wir können feststellen, dass viele öffentliche Einrichtungen digitaler geworden sind, was sehr interessant ist.
Mit Hilfe von Chatbots können Unternehmen und öffentliche Einrichtungen viel besser auf die Bedürfnisse der Bürger eingehen. Virtuelle Assistenten ermöglichen es, alle Arten von formalen und monotonen Aufgaben zu automatisieren, Bürokratie durch effizientere Prozesse abzubauen und geeignetere Informationssysteme zu entwickeln, wie zum Beispiel für Auswahlverfahren und die Gewährung von Subventionen. Solche Tools können den Menschen helfen, den Kontakt mit den verschiedenen staatlichen Stellen zu beschleunigen.
P: Wie sehen Sie die Zukunft der Chatbots?
JL: In den letzten Jahren haben sich die Funktionen von Chatbots exponentiell erweitert. Ich glaube jedoch, dass es zwei Aspekte gibt, die in Zukunft sehr wichtig sein werden:
1. Human-like conversation:
Einerseits die Fähigkeit, Human-like conversation zu führen: Bots könnten in der Lage sein, mit Empathie zu reagieren. Sprachmodelle wie GPT-3 haben bei der Nachahmung der menschlichen Sprache einen großen Schritt nach vorn gemacht. Sie funktionieren ähnlich wie die Autovervollständigungsfunktion vieler Plattformen. Das heißt sie sagen das nächste Wort in einem Satz auf der Grundlage des sprachlichen Kontextes voraus. GPT-3 gilt als das am besten trainierte natürliche Sprachmodell, das derzeit verfügbar ist. Dank seiner Größe ist das neuronale Netz in der Lage, bisher unbekannte Aufgaben mit Hilfe einiger weniger Demonstrationsbeispiele zu lösen. Im Vergleich zu anderen Sprachmodellen stellt das GPT-3 einen technologischen Fortschritt dar.
2. Interactive Voice Response (IVR):
Andererseits beobachte ich ein starkes Wachstum bei den Sprachtechnologien, das heißt bei den automatisierten Systemen, die es dem Anrufer ermöglichen, durch ein interaktives Sprachdialogsystem (IVR) zu navigieren, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. Es handelt sich um Lösungen, die mit natürlicher Sprache umgehen, die der von Menschen sehr ähnlich ist.
P: Ihr Fazit?
JL: Die Unternehmen müssen davon ausgehen, dass in diesem neuen, durch den rasenden Fortschritt der Technologien gekennzeichneten Szenario, der Schlüssel zum Erfolg darin liegt, Kunden einen Mehrwert zu bieten. Dieser Erfolg wird von der Entwicklung individueller und effizienter Lösungen abhängen, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen entsprechen.